Kurzbiografie:
Ute Bansemir, geb. 1983,
studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften, Kunstgeschichte, Germanistik (Abschluss mit der Note 1,3 // Magisterarbeit zum Thema: Jacques Rancière und die Frage nach politischer Kunst)
und Diplompädagogik (bis Vordiplom) in Frankfurt am Main;
Studienschwerpunkte waren der Zusammenhang von Theater und Politik;
Sie spielte während des Studiums selbst, u.a. unter Barbara Weber am Mousonturm und an den Landungsbrücken, assistierte erst als Gast und dann in einem Festengagement (2006-2009) am Schauspiel
Frankfurt, u.a. Zusammenarbeit mit Armin Petras und Urs Troller. In diesem Rahmen lernte sie auch Alexander Brill, damaligen Leiter des Laiensclub Frankfurt, kennen.
Ab 2006 arbeitete sie mit ihm zusammen und war ab 2008 von Beginn an in die Gründung von theaterperipherie[2] Frankfurt involviert;
Ab 2010 arbeitete sie als freie Regisseurin und Theaterpädagogin und realisierte zahlreiche Projekte und Inszenierungen (häufige Zusammenarbeit mit Schulen und Kindern/Jugendlichen)
2014 übernahm sie die Leitung von theaterperipherie.
Seit 2017 arbeitet sie an dem Aufbau eines Leitungsteams von theaterperipherie, in dem sie
bis in die Gegenwart mit ihren Partnerinnen Ewgenija Weiß und Lisa Deniz Preugschat das Theater leitet
Beruflicher Werdegang und Selbstverständnis:
Nach Abschluss meines Studiums der Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte (im
Doppelstudium mehrere Semester Diplompädagogik) begann ich meinen beruflichen Werdegang als festangestellte Regieassistentin am schauspiel frankfurt (2006-2009). Im Anschluss beschloss ich meinen Weg
in der Freien Theaterszene zu suchen, arbeite seit 2010 als selbstständige Theaterregisseurin und Theaterpädagogin und setzte seitdem zahlreiche Inszenierungen und Projekte um. Spezialisiert habe ich
mich auf die Grenzbereiche von Kunst und sozialem Ereignis, dem Suchen nach dem politischen Potential von Theater. In diesem Kontext arbeite ich insbesondere auch mit sogenannten
Laiendarsteller*innen.
Seit der Gründung 2008 bin ich in theaterperipherie[3] Frankfurt involviert, habe ab 2011 in
Zusammenarbeit mit dem Gründer Alexander Brill Leitungsaufgaben übernommen und leite theaterperipherie seit 2014 nun selbstständig. In diesem Jahr 2019 habe ich begonnen, ein postmigrantisches
Leitungsteam aufzubauen und wir befinden uns in dem Prozess, die Leitung nun immer mehr als Kollektiv zu gestalten, weil sich nach meiner Ansicht in einem postmigrantischen Theater auch auf der
Leitungsebene eine Vielfalt und Diversität wiederspiegeln sollte.
theaterperipherie wurde in 2008 gegründet, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich der demografische Wandel von
Deutschland als Einwanderungsland im Personal des deutschen Sprechtheaters schlicht nicht wiederspiegelt und der Zugang zum Theater vielen Menschen auf Grund von Besetzungslogiken, aber auch
festgefahrenen Machtstrukturen, erschwert ist.
Über die Entwicklung der letzten Jahre stellten wir dann fest, dass es weniger kulturelle als soziale Zugangsbarrieren sind, die den Weg ins Theater auf der Ebene des Personals auf und hinter der
Bühne, aber auch im Zuschauerraum beschränken. Beides hängt selbstverständlich zusammen: So richten sich unsere Inszenierungen an Menschen, denen das Theater als Medium bislang kaum oder gar nicht
bekannt ist. Geprobt wird in Teams aus professionellen Künstler*innen und zumeist sogenannten Laiendarsteller*innen. Das hat Folgen für Inhalt, Besetzung und besonders Form der Inszenierungen und
Theaterprojekte, aber natürlich auch Konsequenzen für Öffentlichkeitarbeit, alle Arten der Ansprache des Publikums und auch für alle praktischen Details im Theaterbetrieb, wie Raumgestaltung,
Ticketpreise, Praktikums- und Kontaktmöglichkeiten, etc.
Zuletzt ist damit auch etwas gemeint, was sich nur schwer in kurze Worte fassen lässt: die Haltung, wie wir im Theater dem Publikum und auch den Akteur*innen begegnen und wie sehr wir als
Theatermachende in der Lage sind bestimmte „Selbstverständlichkeiten“ zu hinterfragen bzw. uns trauen, Alternativen, wie z.B. andere Formate für Publikumsgespräche, um nur ein Beispiel zu nennen, zu
entwickeln.
So beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit den unterschiedlichen strukturellen Ausschlussmechanismen, die im Bereich
Theater eine größere Diversität verhindern und sehe theaterperipherie und meine Arbeit insgesamt als eine Schnittstelle von künstlerischer, politscher und sozialer Praxis. Mein Ziel war es, einen Ort
der „Anfänge ins Theater“ zu schaffen, an dem Menschen das Medium Theater kennen lernen können, sowohl als Zuschauer*innen als auch als Akteur*innen auf und hinter der Bühne. Immer wieder gelingt es
so, dass Menschen von theaterperipherie aus dann ihren Weg in Hochschulen und in die deutsche Theaterlandschaft gehen und wir in einer Art Türöffner-Funktion einen Beitrag dazu leisten können, dass
sich diese Schritt für Schritt verändern kann. So ist meine Theaterarbeit von vielen sozialen und politischen Motiven geprägt, was ich jedoch nicht als abgetrennt oder gar widersprüchlich zu
künstlerischen Überlegungen empfinde. Ein Zusammendenken von Ästhetik und Politik ermöglicht es erst, das Medium Theater in seinen ganzen Potentialen zu nutzen: Theater ist für mich ein
Verhandlungsraum, der sowohl für die Direkt-Beteiligten als auch die Zusehen selbstermächtigende, empowernde Effekte haben kann. So war das größte Presse-Kompliment, das ich in meiner bisherigen
Laufbahn bekommen habe, die Beschreibung meiner „Supergrrrls-Inszenierung“ (2013), die den weiblichen Körper und dessen Normierungen zum Thema hatte, als eines Theaterabend, der „das Theater von
einer erstaunlichen Seite zeigt: das Theater als selbstermächtigende Anstalt“.[4] Denn das
Medium Theater ist es nicht, was die Ausschlussmechanismen in Gang setzt – im Gegenteil, sondern seine Ausformulierung und Strukturen/Kontexte, in denen Theater gestaltet wird und
stattfindet.[5]
Neben meiner Regiearbeit und der Leitung von theaterperipherie, setze ich auch zahlreiche weitere kleinere Theaterprojekte und/oder Workshops um. Hier kann ich auf einen Erfahrungsschatz mit sehr
viel unterschiedlichen Beteiligten (sowohl mit Erwachsenen als auch mit Jugendlichen und Kindern) zurückgreifen: in Jugendhäusern, Mädchenhäusern, JVAs, Jobcentern, Schulen (unterschiedlichen
Formen), Universitäten, u.a. Ich war in kurze, in sehr lange, in auf Freiwilligkeit beruhende, in „verordnete“ Projekte eingebunden, in auf Prävention angelegte, in ganz übliche Freizeitangebote. Das
Spektrum der unterschiedlichen Modelle ist sehr groß.
Seit 2015 bin ich als Honorarkraft oft in Projekte von „Bündnisse für Bildung“ eingebunden. Diese
Förderungsmöglichkeit ist eine nahezu perfekte Möglichkeit für mich, da sich hier Ziele stark überschneiden. Ich habe durch „Wege ins Theater“ der ASSITEJ zahlreiche Projekte realisiert, bin selbst
in der JEP-Jury, die das Paritätische Bildungswerk bei der Auswahl der Projekte unterstützt und habe vor allem mit „Tanz und Theater machen stark“ seit 2016 zahlreiche
Theaterprojekte mit geflüchteten Jugendlichen umgesetzt. 2019 konnte ich als künstlerische Leitung des Theaterprojekts „RETTUNG- eine Suche nach der Angst der Deutschen“, welches das Leben in
Deutschland aus der Sicht von jugendlichen Geflüchteten zeigt, sogar den Frankfurter Karfunkel (Kinder- und Jugendtheaterpreis der Stadt Frankfurt) für theaterperipherie gewinnen.[6]
Der Fokus meiner praktischen Arbeit liegt also auf partizipatorischen Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen – oftmals außerhalb des Schulkontextes, aber auch innerhalb, wie:
Während der Theaterschließungen in 2021 habe ich ab März 2021 an der Ludwig Richter Grundschule als Vertretungskraft gearbeitet.
Neben der Arbeit in der Theaterpraxis habe ich seit 2012 begonnen auch Tätigkeiten im Bereich Lehre
zu übernehmen. So hatte ich im Sommersemester 2012 erstmals einen Lehrauftrag an der Universität Frankfurt zum Thema „Geschichten von Migration in der Literatur der Gegenwart“. Seit 2016 werde ich
vermehrt für Vorträge zu den Themenfelder Diversität im Theater, kulturelle Teilhabe, Kulturelle Bildung angefragt. Ebenso gebe ich inzwischen zahlreiche Workshops und Fortbildungen: im Rahmen von
DS-Lehrer*innen-Ausbildung, Theaterpädagog*innen Weiterbildungen, aber auch Workshop zu Interviewführung, Führungsstrategien, der Erkennung von strukturellen Ausschlussmechanismen, u.a. an
Institutionen und Lehrbetriebe unterschiedlichster Art. Außerdem habe ich begonnen theoretisch zu arbeiten und Themenfelder, die aus meiner Perspektive für ein Theater der Zukunft im Hinblick auf
Teilhabemöglichkeiten und Abbau von Barrièren wichtig sind, schriftlich zu bearbeiten. Einige kleine Texte konnte ich in den letzten Jahren schon öffentlich publizieren.
Zuletzt bin ich seit Ende 2019 Teil eines siebenköpfigen Expert*innen-Gremiums für den Bund Freie Darstellende Künste, die bundesweit Institutionen und Vereine bei der Umsetzung von Angeboten der
Kulturellen Bildung beratend zur Seite stehen – mit dem Fokus auf den Unterschied von urbanem und ländlichem Raum.
[1] Interview anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von
theaterperipherie, in dem ich über meine Haltung zum Theater spreche:
https://www.fr.de/frankfurt/maria-magdalena-per38088/zehn-jahre-theaterperipherie-frankfurt-11008490.html
Interview von mir anlässlich der Karfunkel-Preis 2019 (Kinder- und Jugendtheaterpreis der Stadt Frankfurt) Verleihung über Lebenslauf, Motivation, Arbeitsweise
https://edition.faz.net/faz-edition/rhein-main-zeitung/2019-03-23/e6fa0b0f2e6b5f01e37b4d6dc2cbe106/?GEPC=s9
[4] Esther Boldt, Journal Frankfurt, Nov 2013
[5] Interview anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von
theaterperipherie, in dem ich über Zugangsbarrièren im Theaterspreche:
https://www.fr.de/frankfurt/maria-magdalena-per38088/zehn-jahre-theaterperipherie-frankfurt-11008490.html
[6] Interview von mir anlässlich der Karfunkel-Preis Verleihung über Lebenslauf, Motivation, Arbeitsweise